Bipolare Störung

„she was like duck – up and down, up and down“

Mit diesen Worten schildert die junge Butoh-Tänzerin Yu in dem Film „Kirschblüten – Hanami“ den Charakter ihrer Mutter und beschreibt damit sehr genau das Leben von Manisch-Depressiven. Ich möchte bewußt von dem vielfach verwendeten Ausdruck „himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt“ in Zusammenhang mit dieser so häufigen Krankheit wegkommen: Der Alltag dieser Menschen (und auch der Angehörigen) ist nur selten so. Viel häufiger sind Phasen, die mehrere Tage bis Wochen, meist Monate dauern können. Auf eine Zeit der Manie folgt die Zeit der Depression und umgekehrt. Es gibt verschiedene Formen dieser Erkrankung, aber das „Nebeneinander“ oder die extrem rasche zeitliche Abfolge (in wenigen Stunden) von manischen und depressiven Symptomen gehört zu den seltensten.

Uns allen geht es manche Tage besser und manche Tage schlechter. Kaum einer, der von sich ehrlich und selbstkritisch sagen kann: es geht immer gleich. Bei Manisch Depressiven sind aber die Zustände von großer Heftigkeit. Sie fühlen sich einer stärkeren Kraft ausgeliefert. Wenn sie manisch sind geht es so gut, dass sie nicht wissen wohin mit ihren Energien. Sie können nicht schlafen, können viel tun, sind kreativ und haben zu allen eine Meinung: vor allem zu allen Mitmenschen. Sie spüren Gefühle intensiv: Glück, Liebe, Lust und Trauer aber auch Zorn und Ärger. Sie reden schnell, singen, reimen, tanzen, machen Scherze und lachen viel – wen stört es dann schon, dass nicht jeder Witz passt? Wen stört es, dass sie die ganze Welt umarmen können, alle lieben und sich jeden Tag ein neues Auto kaufen wollen? Genau das ist das Problem: Maniker brennen lichterloh und genau wie ihr Bankkonto so sind auch ihre Energien sehr bald erschöpft und der Absturz folgt unweigerlich und er ist sehr tief.

Die Depression beim Bipolaren ist meist heftiger, als bei Menschen mit chronischen Depressionen und sie dauert länger als eine sogenannte depressive Episode. In dieser Zeit kann es vorkommen, dass die/der Betroffene nicht arbeiten kann, das Haus, vielleicht nicht einmal das Bett verlassen kann. Es geht nur schlecht, alles – auch die kleinste Aufgabe – bedeutet eine schwere, unüberwindbare Anstrengung. Man ist nicht in der Lage einkaufen zu gehen, zu kochen oder auch nur die Post zu öffnen. Gefühle gibt es nur negative, oder vielmehr das Gefühl, niemals Gefühle gehabt zu haben und auch keine Hoffnung, dass sich irgendwas ändern wird. Es ist wie am Boden einer völlig schwarzen Höhle zu sitzen, keine Chance raus zu kommen. Meterhohe und -dicke Wände zwischen mir und dem nächsten Menschen.

Nicht alle Menschen mit bipolaren Störungen haben Symptome in der vollen Ausprägung und Heftigkeit, aber selten ist das nicht.

Vorstufen und abgeschwächte Formen

Sicherlich ist es notwendig, dass wir mit unserer Befindlichkeit und unserer Stimmung auf die Ereignisse der Umwelt reagieren. Aber wir lernen bereits im Kindesalter, wie wichtig es ist, unsere Gefühle im Zaum zu halten. Jähzorn und Aggression, aber auch Liebesbezeugungen müssen gezügelt werden sonst ist ein soziales Zusammenleben nicht möglich. Über die Pubertät hinweg passen wir uns zunehmend an die Regeln unsrer Gesellschaft an. Manche schaffen es mehr, manche weniger. Aber „Reaktion“ und phasenweise Stimmungsschwankungen sind grundsätzlich voneinander verschieden, auch wenn die Betroffenen und ihre Angehörigen immer nach Erklärungen suchen. Biologisch unterliegen Menschen mit phasenweisen Beeinträchtigungen (zyklothyme Menschen) einem gewissen Rhythmus. Der ist so natürlich wie der Biorhythmus oder Monatszyklus der Frau, und er kann auch so natürlich erforscht werden und man kann sich daran anpassen.

Aber die meisten von uns kennen Momente oder Phasen in denen es manchen von uns schwer fällt ihre Emotionen im Schach zu halten und „angepasst“ zu reagieren. Dies kann neben Streit und verbalen „Ausrutschern“ mitunter sogar zu Affekthandlungen führen. Manchmal ist eine solcher Moment der Beginn einer längeren Phase von Verstimmung. Was liegt dann näher als im Streit die Erklärung zu sehen? Aber es kann auch umgekehrt sein: wir haben gerade den beginn einer schlechten (negativen, dysphorischen, depressiven) Phase erlebt und waren deswegen besonders sensibel oder leicht beleidigt. Es war der Beginn einer Depression, aber wir glauben es ist eine Reaktion.

Formen ausgeprägter Bipolarer Störungen

Die meisten Menschen, die an bipolaren Störungen erkrankt sind bilden immer wieder das gleiche Muster aus, das sie, wenn sie keine Therapie in Anspruch nehmen dann ihr Leben lang begleitet.

  1. Depressive Phasen und manische Phasen wechseln einander ab. Beide in starker Ausprägung, aber meist von unterschiedlicher Dauer: Manisch drei Tage, depressiv drei Monate.
  2. Depressive Phasen sind stark ausgeprägt, manische Phasen fast nicht merkbar
  3. Depressive Phasen komme regelmäßig, manische nur bei Einahme der falschen Medikamente
  4. Menschen sind die meiste Zeit übereifrig, überengagiert, aufgezogen, lustig (man nennt das: hyperthym) und haben manchmal, dafür umso schwerere depressive Einbrüche bzw. Phasen.

Diese Verlaufsformen bleiben zwar bei jedem Betroffenen konstant, die Abstände und die Heftigkeit der Symptome können variieren. Zusätzlich können abhängig vom Schweregrad auch fixe, überwertige Ideen und Wahnsymptome auftreten( „Ich bin schuldig“, „ich werde verarmen, meine Familie nicht erhalten können“…).

Gefahren der bipolaren Störung

Aus den Erfahrungen mit diesen Krankheitsbildern wird klar, dass es sich heir um die gefährlichsten psychischen Erkrankungen handelt. Nicht nur, dass die Selbstmordrate hoch ist, auch Selbstschädigung durch Fehleinschätzungen (Autofahren nach zu viel Alkohol, unpassende Sexabenteuer, falsche Entscheidungen in beruflichen und wirtschaftlichen Dingen) vor allem aber soziale Komplikationen schaffen Probleme für Betroffene und deren Angehörige.

Wenn eine „bipolare Störung“ die Ursache für emotionale Entgleisungen ist…

… ist es sinnvoll das möglichst bald zu behandeln. Nicht immer sind Depressionen „grundlos“ aber manchmal sind die Gründe für depressive Entgleisungen hausgemacht. Es sind Dinge, die uns unter andren Umständen nicht berühren, ängstigen oder stören würden. Aber in der verletzlichen Zeit zu Beginn einer depressiven Phase ist es eben schlimm.

Letztlich entscheidet die Heftigkeit der Symptomatik, was und ab wann wir etwas machen müssen, bzw. ab wann der Arzt ein Medikament verschreibt. Wenn bekannt ist, dass es sich um eine bipolaren Störungen handelt, können wir dem zuvor kommen, indem wir eine sog. Phasenprophylaxe bzw. stimmungstabilisierende Therapie einnehmen.

Achtung: nicht alle zornigen, depressiven, verzweifelten und angstvollen Menschen leiden an bipolaren Störungen

Aus psychiatrischer Sicht ist emotionale Instabilität, die zu Komplikationen führt, verschiedenen grundlegenden Leidenszuständen zuzuordnen.

Unzufriedenheit mit sich selbst. Ein im Grunde gekränkter und enttäuschter Mensch kann sehr instabil sein. Sein Selbstwert ist nicht hoch, aber er kann durch das Gefühl andere beeinflussen zu können steigen. Kündigen diese anderen – meist Familienmitglieder – die Bereitschaft auf ihn zu hören auf, kann es zu Schwierigkeiten kommen.

Depressive Grundstimmung. Gerade an der Schwelle zur Depression, bei Beginn einer depressiven Phase und manchmal auch bei deren Ende kann die Stimmung als quälend und schmerzhaft unbefriedigend empfunden werden. Der Wiener nennt es „Grant“, der Psychiater Dysphorie, allgemein wird dieser Zustand als Gereiztheit verstanden. Ein explosiver Zwischenbereich zwischen dem Wohlergehen und dem schlechten Zustand. Hier kann ein andere den Zündfunken für eine Entladung bilden. Auch bei dem Beginn der Wirkung von Psychopharmaka können solche instabile Zustände vorkommen.

Angst und Zwangshandlungen: Menschen, deren Handeln durch Angst, Zwänge und Riten geprägt ist, reagieren unsicher und gereizt, wenn es Abweichungen von ihrem Plan gibt. Durch ihre von vornherein festgelegten und genau geplanten Handlungen bekommen sie Sicherheit, allerdings um den Preis einer hohen Arbeitsbelastung. Stress, Erschöpfung und aufkeimende Panik kann sie zu Kurzschlusshandlungen verleiten. So können auch diese sehr beherrschten und meist ruhigen Zeitgenossen in emotionale Extremzustände gelangen.

Sucht und Persönlichkeitsstörungen: sie können Teil oder Ursache einer anderen psychischen Erkrankung sein oder auch für sich selbst Gemütsschwankungen verursachen. (Auf dieses komplexe Thema möchte ich hier nicht eingehen.)

Welche Therapie gibt es bei Bipolaren Störungen

Wirklich heftige Gemütsschwankungen haben Krankheitswert und sind eine Belastung für den Betroffenen selbst und für seine Mitmenschen. Es sollte daher rasch ein Facharzt aufgesucht werden, der durch ein verhältnismäßig einfaches Therapieangebot Hilfe bringen kann. Interessanterweise sind die meisten der dafür wirksamen Medikamente eigentlich für etwas anderes gedacht.

Zum Einsatz kommen, je nach Art der Grunderkrankung:

  • Antidepressiva, sie stärken den Selbstwert und stabilisieren eine positive Grundstimmung
  • Neuroleptika, bringen Ordnung in Gedanken, entwirren die Fäden und Verwicklungen der Ängste, die uns aufbrausend und ungeduldig machen.
  • Antiepileptika stabilisieren den Gemütszustand durch Stabilisierung der elektrischen Aktivitäten der Gehirnzellen. Sie sind gut verträglich und können Jahrzehnte lang ohne Nebenwirkungen eingenommen werden.
  • Lithium wird an Stelle von Natrium in die Membranen der Nervenzellen eingebaut und stabilisiert. Diese Substanz wird seit vielen Jahrzehnten bei bipolaren Erkrankungen eingesetzt. Der Nachteil ist, dass der erforderliche Serumspiegel nicht immer ganz konstant bleibt, da äußere Faktoren (Hitze, Schwitzen..) ihn beeinflussen können. Ist der Spiegel aber zu niedrig, wirkt Lithium schlecht, ist er zu hoch treten unangenehme Nebenerscheinungen auf.

Ärztliche Dauerbegleitung, sorgfältige medikamentöse Einstellung und regelmäßige Überprüfung der wichtigsten Organparameter sind die Basis der rationalen Therapie von Bipolaren Störungen. Hinzu kommt, dass durch das gemeinsame Erarbeiten von Warnsymptomen eine Art Frühwarnsystem eingeführt werden kann, dass hilft die Therapie zum richtigen Zeitpunkt zu verstärken. Damit kann in den symptomfreien Phasen die stabilisierende Therapie auf ein Minimum beschränkt bleiben. Einen wesentlichen Anteil an der Therapie hat eine, im Setting eher straff geführte Psychotherapie. Diese darf aber nicht unter Zwang besucht werden, als Verordnung oder gerichtliche Auflage, sondern muss vom Betroffenen selbst als Chance zu seiner eigenen Weiterentwicklung gesehen werden.